3. Wenn der Damm bricht…

Der erfolgreichste Tag in meiner Karriere als Vergebender wird wahrscheinlich unbemerkt an allen, die mich nicht näher kennen, die aber an diesem Tag mit mir zu tun hatten, vorübergegangen sein. Doch für jene, die mich gut kennen, war dieser Tag außergewöhnlich – denn statt eher heiter und fröhlich, ruhig und gelassen zu sein, war ich mürrisch und verschlossen. Es nervte mich so ziemlich alles, und ich ließ kaum an jemand oder etwas, das mir begegnete, ein gutes Haar. Also eigentlich eine Katastrophe für jeden bemühten Kursschüler…
Doch nicht so an diesem Tag!

Ich bemerkte, dass meine schlechte Laune, alle meine abwertenden Urteile und negativen Gedanken einen Zweck hatten:
Sie waren nicht da, damit ich mich dafür schäme oder Schuldgefühle entwickle. Sie waren nicht da, um mich fertig zu machen und mir zu zeigen, was für ein schlechter Kursschüler ich wäre – und dass ich den Kurs niemals lernen würde.
Sie waren dazu da, um mir zu zeigen, dass nichts davon die Ruhe und den Frieden stören kann, die tatsächlich in mir leben.

Statt also an meinem Lernfortschritt mit dem Kurs zu verzweifeln, bemerkte ich diesmal, dass meine ganze Arbeit, meine ganze Bemühung sich schließlich gelohnt hatte:
Diesmal konnte ich ganz ruhig bleiben und in Frieden alles einfach nur beobachten, was sich vor meinen körperlichen Augen abzuspielen schien.
Und – oh Wunder – es gab nichts daran auszusetzen, nichts daran schien mir verurteilenswert. Alles war OK, ja noch viel mehr – ein fast überirdisch erscheinender Frieden hatte sich über diesem ganzen Tag ausgebreitet:

Nichts und niemand war „falsch“.
Nichts und niemand sollte irgendwie anders sein.

Auch an mir und meiner ganzen miesen Laune, meinem „Schlecht-drauf-Sein“ konnte ich von meiner neuen Warte aus nichts finden, was mich störte oder bei dem ich dachte, dass ich als jemand, der sich schon so lange mit Vergebung beschäftigt, doch allmählich drüberstehen müsste.

An diesem Tag spürte ich, dass der Damm, den ich unbewusst gegen die Liebe errichtet hatte, und von dem ich dachte, dass er mich vor jeder Gefahr schützen würde, endlich gebrochen war – und die Liebe konnte sich nun ungehindert über alles, was auch immer meine Sicht mir vorher gezeigt hatte, ergießen.

Das „Wunder“ war geschehen – meine Barrieren gegen die Liebe wurden einfach von ihr weggespült.

Wie anders doch die Vergebung funktioniert, als ich es mir vorgestellt hatte! Wie groß diese LIEBE ist, vor der ich so große Angst gehabt hatte und gegen die ich mich so lange versucht hatte zu wehren.

Jetzt erlebte ich, dass alles bereits in Ordnung IST, wenn ich nur den Mut aufbringe, meine Urteile, Einschätzungen und Meinungen einmal beiseite zu legen. Wenn ich bereit bin, meine Einstellung – mir und allen gegenüber zu ändern. Wenn ich bereit bin zu vergeben.