17. Der Projektor – oder Die unmögliche Welt

In der Dunkelheit können wir nicht sehen. Im Lichte schon.

Es war einmal eine Kamera, die filmte eine unmögliche Welt:
 Dort gab es Sünde und Schuld, und daraus folgten Elend, Not, Schmerz, Krankheit und letztlich der Tod, der das einzig Sichere in dieser unmöglichen, unsicheren Welt war. Diese Welt wurde von zahllosen Figuren bevölkert, die hier ihr armseliges Dasein fristeten.

Derjenige, der die Kamera betätigte, schaute auf diese Welt und begann sich zu fragen, wieso denn überhaupt irgendwer hier leben wollte. Also fragte er die Figuren, wieso sie so gerne hier lebten.
 Einige sagten, wie schön es doch hier sei – sie meinten damit offensichtlich ihre momentane Situation. Sie waren sich scheinbar nur ihrer persönlichen Geschichte bewusst, und im Moment war ihre persönliche Lage gerade recht gut. 
Andere wiederum, deren momentane Lage nicht so rosig war, klagten zwar ihr Leid, erklärten aber gleichzeitig, dass man eben nichts ändern könne. Schließlich habe sie ja niemand gefragt, ob sie hier leben wollten oder nicht. Sie hofften inständig, dass sich ihre Lage bald bessern würde, oder – wenn sie bereits ganz hoffnungslos waren – dass wenigstens bald alles vorbei sein würde.

Der Kamerabetreuer selbst fragte sich natürlich auch nach dem Sinn seines Tuns, nämlich, eine so schreckliche Welt aufzunehmen. Eigentlich wollte er das ja gar nicht, denn er fürchtete sich vor diesen schrecklichen Bildern, aber er wusste auch nicht, was er sonst machen sollte. Er kannte nichts anderes, das er hätte tun können. In seiner Not sandte er ein Stoßgebet zum Himmel und bat um eine andere Aufgabe, eine andere Funktion.

Die Antwort, die er auf seine Bitte hin erhielt, hörte sich zunächst für ihn nicht sehr befriedigend an:

„Du hast bereits deine Aufgabe, du erfüllst bereits deine Funktion.“

Doch erfuhr er noch weitere Aufklärung – und diese verstand er:

„Alles, was du aufnimmst, kann ohne LICHT nicht gesehen werden.
Deshalb übergib alles, was du aufnimmst, zuerst dem LICHT.
DIESES
wird dann alles, was du aufgenommen hast, so beleuchten,
dass es nicht nur gesehen, sondern auch geliebt werden kann.“

Der Kamerabetreuer befolgte diese Anweisung. Er überbrachte alle seine Aufnahmen sofort dem LICHT; es waren übrigens noch immer die dunklen Bilder dieser schrecklichen, unmöglichen Welt.
Bei LICHT betrachtet sahen sie allerdings ganz anders aus. Und das LICHT freute sich sehr über jedes seiner Bilder und bat den Kamerabetreuer, ihm doch alle seine Aufnahmen zu bringen.

Unser Kameramann zögerte anfänglich noch etwas, da ihn die Bilder, die er aufnahm, manchmal doch noch sehr erschreckten. Doch besann er sich immer rascher, und überbrachte immer mehr von seinen Aufnahmen dem LICHT.

Nach einiger Zeit bemerkte er, dass seine Bilder immer öfter ungewöhnlich heiter und unbeschwert waren. Dagegen wurden Szenen aus der alten, unmöglichen Welt immer spärlicher, und wenn er sie aufnahm, beeilte er sich, sie immer sofort dem LICHT zu überbringen.
 Doch meist schaute er inzwischen auf eine ganz andere Welt – auf eine Welt, die er liebte.

Irgendwann einmal fiel ihm auf, dass er gar keine Kamera mehr bediente – er hatte überhaupt aufgehört zu filmen. Stattdessen bediente er jetzt einen Projektor, der wundervolle Bilder einer Welt projizierte, die so lieblich war, dass sie ihn an den Himmel erinnerte.

Was war passiert?

Er bemerkte, dass er begonnen hatte, mit dem LICHT zu schauen. Jetzt brauchte er nichts mehr zum LICHT zu bringen, denn er schaute jetzt immer mit dem LICHT, durch das LICHT – er war selbst zum LICHT geworden.

Und es gefiel ihm, einfach alles mit Wohlwollen zu betrachten.