2. Theorie und Praxis des Kurses – oder Verstand versus Gefühle

Der Kurs kann dazu benützt werden, alle unangenehmen Gefühle und Empfindungen wegzurationalisieren, sie als bloße Illusion abzutun. Dies geschieht, wenn wir die metaphysische Ebene des Kurses – die Erkenntnis, dass diese Welt nur Illusion ist – dazu missbrauchen, die praktische Ebene – unsere Wahrnehmung dessen, was wir fühlen und empfinden – herunterzuspielen. Am deutlichsten kommt diese Vorgangsweise in der gängigen Phrase „Alles ist Illusion“ zum Ausdruck, die gerne als Rechtfertigung dazu gebraucht wird, um sich mit den eigenen Gefühlen nicht abgeben zu müssen. Denn diese seien ja nur reine Illusion.

Die Aussagen des Kurses als Ausrede und Rechtfertigung für liebloses Verhalten oder als „Diskussionstöter“ heranzuziehen ist meist eine Folge des Versuchs von Kursschülern, möglichst schnell das Ziel des Kurses zu erreichen. Sie meinen, man könne den Weg abkürzen, indem man sich die Arbeit – die Vergebungsarbeit, zu welcher der Kurs anleitet – einfach erspart: Man nimmt nur das „Endprodukt“ – den letzten Schritt zur Erkenntnis – und lässt die Zwischenschritte – die Vergebungserfahrungen*) –  aus.

Dass diese Abkürzung eher ein „Kurzschluss“ ist, wird dabei gerne übersehen und geleugnet. Denn schließlich sei Vergebung auch „nur“ eine Illusion, und damit brauche man sich „in Wirklichkeit“ gar nicht auseinanderzusetzen.

Auf diese Weise wird buchstäblich das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Das „Material“ für die Kursarbeit wird eingespart: unsere Gefühle und Empfindungen. Damit hat sich der Kurs erledigt. Und wir sind nicht klüger als zuvor…Nur dass wir zum Leidwesen unserer Mitmenschen wahrscheinlich davon überzeugt sein werden, dass wir viel klüger wären als alle anderen. Denn wir hätten schließlich den Kurs im Schnellverfahren „gemacht“ und wüssten damit, dass diese Welt und unser ganzes Leben nur Illusion ist. Selber schuld, wer noch etwas anderes glaubt.

Unsere Wirklichkeit – das, was tatsächlich nicht bedroht werden kann – ist aber ein Gefühl, nämlich die LIEBE. Und die Gefühle und Empfindungen, die wir erleben, wenn wir glauben, in dieser Welt zu leben, sind nichts weiter als der Ruf nach Liebe. Und wenn wir diesen überhören, überhören wir alles, was uns in Wahrheit ausmacht – und alles, wozu der Kurs gekommen ist.

Unsere Gefühle der Angst, des Ärgers, der Wut, der Depression, der Trauer, des Schmerzes etc. erinnern uns also daran, was wir noch nicht vergeben haben. Sie sind unser eigener Ruf nach Liebe. Und wenn wir diesen rationalisieren statt ihn zu hören, vertun wir damit die Chance auf unsere eigene Heilung.

Wenn wir versuchen, unsere Gefühle zu verleugnen oder herunterzuspielen, um nur ja möglichst schnell ans Ziel des Kurses zu gelangen, dann versäumen wir damit die Gelegenheit, den Kurs zu lernen. Und diese Versäumnis macht sich bemerkbar! Wenn sich Leere, Langeweile, Sinnlosigkeit oder ähnliche Eindrücke in uns breitmachen, dann sind dies deutliche Hinweise darauf, dass wir eher versucht haben, den Kurs zu verstehen statt ihn zu fühlen. Uns eher zu rechtfertigen statt zu vergeben.

Denn Gefühle und Empfindungen machen das aus, was wir sind. Nicht der Verstand.
Wenn wir sie verdrängen oder abzutöten versuchen, dann vertun wir damit die Gelegenheit, die sie uns bieten: Uns selbst – unser wahres SELBST – wiederzufinden: die LIEBE.


*) Siehe dazu auch folgenden Text:  Vergebungserfahrungen