Wahrnehmung und Objektivität
Auch wenn man den Kurs nicht kennt, ist die Wahrnehmung ein Phänomen, das durchaus einer näheren Betrachtung wert ist. Wahrnehmung ist selektiv – nicht total. Das ist offensichtlich. Und dies gilt für alle Aspekte der Wahrnehmung gleichermaßen – für das Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen: Wir nehmen nicht „alles“ wahr, und damit wir etwas Bestimmtes wahrnehmen können, müssen wir den ganzen Rest vernachlässigen.
Das lässt sich anhand der Betrachtung eines Bildes gut nachvollziehen: Wir sehen nicht gleichzeitig das ganze Bild mit allen Details, sondern wir schauen auf das, was für uns im Vordergrund steht bzw. wichtig ist. Das andere – den Hintergrund – müssen wir einstweilen vernachlässigen. Wir können, wenn wir wollen, später auf alles andere, was unbeachtet geblieben ist, schauen.
Deshalb braucht es Zeit, damit wir z.B. ein Bild ganz und gar „sehen“ können. Zeit ist also ein wichtiger Aspekt, ohne den die Wahrnehmung nicht auskommt. Sie ist notwendig, weil wir nicht gleichzeitig alles wahrnehmen können.
Ebenso ist es beim Raum, der auch ein Aspekt der Wahrnehmung ist: Je näher wir etwas betrachten – wenn wir etwas „heranzoomen“ – um so weniger von allem sehen wir. Entfernen wir uns wieder vom Objekt der Betrachtung, dann wird immer mehr für uns sichtbar.
Alle unsere Körpersinne – die Vermittler der Welt, die wir wahrnehmen – sind so ausgestattet, dass sie die Selektion unterstützen. Wenn wir z.B. etwas fokussieren, wird alles andere nur unscharf oder schemenhaft gesehen; wir hören nur das, was wir hören wollen bzw. worauf wir uns konzentrieren und überhören alles andere. Außerdem sind unsere Sinne nur für ein sehr begrenztes Spektrum eingerichtet. Um dieses etwas zu erweitern, müssen wir uns anderer Hilfsmittel bedienen (Fernglas, Mikroskop, Ultraschall, etc)
Ein weiterer wichtiger Aspekt, der bei der Wahrnehmung mitspielt aber leicht übersehen wird, ist das Bewusstsein. Wenn wir schlafen und träumen, nehmen wir andere Dinge wahr als im Wachzustand. Oder wenn wir etwas finden wollen, richten wir unser Bewusstsein nur darauf, ein bestimmtes Objekt zu orten, alles andere wird vernachlässigt.
Allein an diesen wenigen Beobachtungen können wir leicht sehen, welch ein unsicheres Werkzeug unsere Wahrnehmung ist. Wenn wir glauben, wir sehen einfach nur alles, was da ist, dann übersehen wir dabei ganz und gar, dass das, was die Wahrnehmung uns zeigt, unter anderem davon abhängig ist, was wir gerade sehen wollen, was wir ausblenden wollen, wo unsere Aufmerksamkeit liegt, worauf wir uns konzentrieren – und nicht zu vergessen – in welcher Zeit wir leben, wo wir leben, ob wir gerade schlafen oder wach sind und vieles andere mehr.
Die Wahrnehmung zeigt uns also keinesfalls die Wahrheit, sondern wir „nehmen wahr“ – wir halten das für wahr, was wir gerade sehen, hören, riechen, schmecken oder fühlen.
Von so etwas Unpräzisem, von so vielen Faktoren Abhängigem Objektivität oder absolute Verlässlichkeit zu verlangen, ist wohl nicht wirklich angebracht. Trotzdem tun wir dies praktisch fast ununterbrochen in unserem täglichen Leben auf dieser Erde.
Realistischer wäre es wohl, anzuerkennen, dass eine objektive Wahrnehmung nur eine Illusion sein kann. Wenn man überhaupt irgendwelche Schlüsse aus den Objekten unserer Betrachtung ziehen will, dann wäre es zumindest sinnvoll, dabei den Betrachter nicht aus den Augen zu verlieren: Was will der Betrachter im Moment sehen? Worauf möchte er schauen?
Doch woher kommen die Instruktionen? Wer oder was ist es, das unsere Wahrnehmung lenkt, dirigiert oder ausrichtet?
Wenn wir solche Fragen zu stellen beginnen, kommt noch ein ganz anderer Faktor ins Spiel – einer, den wir bisher noch überhaupt nicht beachtet haben: Unser Denken.
Im Kurs geht es genau um diesen Faktor – um unser Denken. Dieser Kurs macht uns darauf aufmerksam, dass unser Denken für unsere Wahrnehmung verantwortlich ist – ja dass unser Denken überhaupt der Grund dafür ist, dass wir wahrnehmen. Wir werden darüber aufgeklärt, dass Wahrnehmung in Wahrheit nur eine Fehlfunktion des Geistes ist, dessen tatsächliche Funktion das Erschaffen ist.
Wir erfahren im Kurs, dass die Welt, die wir wahrnehmen, nur eine Fehlwahrnehmung ist, die zuerst korrigiert werden muss, damit der Geist wieder der Erkenntnis fähig wird und sich damit seiner wahren Bestimmung wieder bewusst werden kann.
Wie der HEILIGE GEIST unsere Projektionen nützt
Jeder Geist ist schöpferisch. Der getrennte Geist jedoch – der sich als Wahrnehmender sieht – erzeugt nur Fehlschöpfungen, nämlich das, was er wahrnimmt. Er projiziert statt zu erschaffen.
Jede Wahrnehmung wird durch Projektion erzeugt. Durch Projektion wird aber nichts vermehrt oder ausgedehnt. Sie ist nur das, was wir in uns vermuten, nach außen projiziert, damit wir es anschauen können.
Soweit wäre Projektion noch kein Problem. Wenn es allerdings Schuld und Sünde sind, die wir in uns vermuten, wird Projektion zum Problem. Denn wir wollen weder Schuld noch Sünde. Und die Projektion scheint ein gutes Werkzeug zu sein, um uns von dem, was wir nicht wollen, zu befreien, um uns von dem, was wir nicht wollen, zu trennen.*) Und so haben wir als Betrachter schließlich den Eindruck, ganz „allein“ zu bleiben – getrennt von all dem, was wir betrachten:
Wir sind zu Wahrnehmenden geworden. Die Erkenntnis der Einheit aller Schöpfung ist uns nicht mehr bewusst.
Vergebung ist auch eine Projektion. Man könnte sagen, es ist eine andere Art, die Projektion zu benützen. Da Vergebung vom HEILIGEN GEIST inspiriert ist, führt sie schließlich dazu, dass wir ganz über die Projektion hinausgehen.
Der HEILIGE GEIST beginnt damit, dass ER uns genauso sieht, wie GOTT uns erschaffen hat. ER weiß, dass wir GOTTES SOHN sind, SEINE Schöpfung.
Wenn wir vergeben, lernen wir uns selbst auch so zu sehen, wie der HEILIGE GEIST uns sieht. Und dies „projizieren“ wir nun auf alles, was wir vorher als von uns getrennt betrachteten. Auf diese Weise wird unsere Wahrnehmung korrigiert. Wir bemerken wieder, dass wir nicht von dem, was wir wahrnehmen, getrennt sind – und so wird unser Glaube an Trennung geheilt.
Ein geheilter Geist projiziert nicht. Wahrnehmung ist für ihn überflüssig, da er nichts mehr als getrennt von sich sieht.
So kann die Erkenntnis wieder in diesem Geiste dämmern:
Er erkennt wieder, dass SCHÖPFER und Schöpfung eins sind. Dass nichts anderes existiert.
Und dass er Mitschöpfer GOTTES ist, DESSEN Schöpfung sich in alle Ewigkeit ausdehnt.
*) Siehe dazu auch T-6.II: „Die Alternative zur Projektion“, S.96ff.